Dienstag, 22. Dezember 2015

Kapitel 2 - Der Untergang (1)

Nur wenige Stunden später toben finstere Gestalten in Richtung Wald, gewaltbereit und zornig. Sie erinnern mich ein wenig an den Tod, knochig, trotzdem scheinbar fließend und galant. Auf ihre eigene Art so wunderschön. Doch nichts kann wunderschön sein, wenn es den Wunsch hegt, dich zu töten. Sie verfolgen den Menschenstamm, ich fliehe auf einen Baum, doch während die Gestalten langsam, genügsam den Baum einschlagen, schlägt mir das Herz bis zum Hals.
Ich erwache erneut, wurde geweckt, doch hier gibt es nichts mehr. Kein Baum, keine Wurzeln, kein Wald. Nur Sand und Steine. Aber mir ist dies - natürlich nach wie vor - egal. Beim näheren Betrachten meiner Umgebung sehe ich den kleinen Jungen erneut, doch seine Familie scheint zu fehlen. Ich bin mir nicht sicher, ob er sprechen kann, also gebe ich dem einen Versuch.
Weißt du, wo wir sind?
Ich erwarte keine Antwort, auch sieht er nicht auf, sieht mich nicht an. Sorgsam nähere ich mich, ich besitze keine Mutterinstinkte, ich kann nur versuchen, ja nur testen, ob das auch so seine Richtigkeit hat. Aber ich glaube zu spüren, dass er das Richtige selbst nicht kennt. Teils apathisch schaut er auf seine Hände, in ihnen sammelt sich Staub, dunkelgrauer, schwerer Staub.
Weißt du, warum deine Hände so aussehen?
Wieder versuche ich, mit ihm zu kommunizieren. Dieses Mal hebt er seinen Kopf, ich blicke in seine Augen und sehe, was passiert war, bevor ich erneut erwacht bin. Sein Stamm ist tot, jeder, seine Mutter, sein Vater, seine Geschwister. Sie sind neben ihm gestorben. Dunkle Gestalten fressen Hoffnung, übermittelt er mir. Er wurde nur nicht gefunden, weil er sich gut genug versteckt hatte. Ich wurde nicht gefunden, weil, ja, das kann man sich nun denken. Ich existiere nicht mit Träumen oder Hoffnungen. Das gehört weder zu meinem Charakter, noch zu meinen Zielen. Menschen, denen jegliche Hoffnung genommen wurde, sind also labile Gestalten, die hier nicht überleben. Und was heißt hier? Sie überleben nirgends. Sie sind schwach, weil sie das am wichtigsten Scheinende in ihrem Leben exkludieren mussten. Die finsteren Gestalten ziehen die Hoffnung heraus, übrig bleibt eine leere Hülle, lediglich die Fassade des Menschen, denn mehr bleibt ihm selbst nicht. Binnen Sekunden zerfällt er zu Staub, weil selbst die Fassaden vor lauter Tristheit und fehlender Zuversicht kein Grund sehen, zu existieren. Es gibt nichts, woran sich diese Hüllen klammern könnten, kein Fels in der Brandung, kein Silberstreif am Himmel. Fast, aber nur fast, könnten sie mir leid tun.
Das ist wieder ein Punkt, an dem ich Menschen nicht verstehe. Wenn für sie keine Hoffnung mehr existiert ist alles verloren. Sie verstehen nicht, dass es weiter geht. Im Todesfall eines Angehörigen scheint sich die Welt nicht weiterzudrehen, sie hängt fest in dem Universum, aber das stimmt nicht. Die Welt interessiert sich keinen feuchten Dreck für das Wohlergehen von kleinen, unnützen Organismen. Es dreht sich alles weiter, ob man will, muss, kann oder nicht, ist nicht weniger sinnfrei als die Existenz.

Montag, 21. Dezember 2015

Kapitel 1 - Stunde Null

Ich habe mit Träumen selten etwas positives assoziiert. Natürlich gibt es diese Menschen mit Träumen, Wünschen und Vorstellungen an sich und die Umwelt, doch ich glaube nicht an den Durchbruch, auch gleichermaßen nicht an Schicksal. Träumer sind Hängenbleiber, ich meine, das Brett vor dem Kopf wird auch nicht schöner, wenn man es sich schöner denkt.
Ich erwache in dieser sagenumwobenen Welt, sie ist nicht schön, nicht hässlich, wahrscheinlich weniger real als Hirngespinste. Um mich herum gibt es nicht sehr viel, es sieht aus wie ein Wald, ein mystischer Wald, den man nur aus überteuerten Hollywood-Produktionen kennt. Es gibt keine Technik, nichts, was an die heutige Welt erinnern könnte. Einige Menschen existieren hier, doch ich habe keine Verbindung zu ihnen, sie sind mir vollkommen fremd. Es ist schwer, sich zu etablieren, wenn es nichts gibt, dessen man sich etablieren könnte. Ich sehe diese Fremden oft schlafen, sie lächeln dabei oder wachen urplötzlich auf, schreien oder winden sich im Schlaf. Ich träume nicht, auch nicht wenn ich schlafe, weil es für mich nichts zu verarbeiten gibt. Ich muss nichts überwinden, habe keine Angst und gleichermaßen keine Hoffnung. Natürlich bin ich ein denkendes Individuum, ich kann Szenarien entwickelt und hinterfragen, jedoch träume ich einfach nicht. Die Szenarien sind relativ realistisch, niemals würde es mir in den Sinn kommen, mich zu fragen, was wäre wenn, was könnte nachdem oder würde sein wenn ich dies und das. Es ergibt einfach keinen Sinn. Wenn es nicht höchst wahrscheinlich oder existentiell ist, brauch ich es einfach nicht in Erwägung ziehen.
Die Menschengruppe besteht aus Individuen verschiedenen Alters, auch aus Kindern. Ich habe früh begriffen, dass Kinder weitaus größere Träume haben als Erwachsene. Von Berufswünschen über Geburtstagsgeschenke, hin zu utopischen Vorstellungen der Welt. Manchmal macht es mich traurig mit anzusehen, wie sie glauben, alles zu schaffen, die ganze Welt läge nur ihnen zu Füßen und die Zukunft wird rosig. Ich verstehe nicht, wie ihre Eltern dann zu ihnen meinen können, es werde alles so schön, wenn sie im selben Moment wissen, dass da draußen eine nackte, verflucht beschissene Welt wartet, die mit ihren dreckigen Klauen nur auf das Ableben eines jeden wartet, um ihn dann, fromm beerdigt, für immer in ihrem Inneren aufzubewahren.
Eines dieser Kinder kommt mir oft zu nah, will vielleicht spielen, aber er wird von Älteren zurückgeholt. Vielleicht bin ich ihnen zu.. eigen. Nach längerer Symbiose mit meinen Mitmenschen, gezwungen oder nicht, werde ich eines Nachts durch Kinderschreie geweckt. Der kleine Junge liegt nicht weit von mir, jedoch ist niemand von seinem Stamm in seiner Umgebung. Ich kann mir nicht ganz ergründen, was ihm fehlt. Ich taste mich zu ihm vor, seh auf ihn hinab. Er rappelt sich auf die Knie und klammert sich an mein Bein. Ich bin kurzzeitig gefangen inmitten von Perplexität und Empathie, entscheide mich aber für letzteres. Ich streichel über sein kurzes, weiches Haar, aber so unbeholfen, dass ich mich ihm fast gleich fühle. Zwischen weinen und schluchzen erzählt er von Monstern und Gruselgestalten, die ihn verfolgen würden. Ich sehe mich um und erblicke aber niemanden. Ich versuche ihn zu beruhigen, er habe nur geträumt, die bösen Monster existieren nicht, nur in seinem Kopf, und sie sind nur dort, weil er die Angst vor ihnen zulässt. Ich glaube, er versteht nicht, wovon ich rede, aber meine Stimme scheint ihn ruhiger werden zu lassen. Ich stehe ihm noch etwas Körperwärme zu, bevor ich mich selbst wieder hinlege, um zu schlafen, während er es mir gleich tut.
Als ich am nächsten Morgen erwache, ist er nicht mehr neben mir, er ist bei seiner Familie und sieht mich an.Unsere Augen treffen sich und in diesem Moment weiß ich genau, dass er seinem Stamm nichts von letzter Nacht erzählt hat. In seinen Augen liegt Vertrauen, doch er kennt auch die Gefahren, von denen seine Familie glaubt, sie seien bei mir vermutbar.

Prolog

Ich besitze vitales Misstrauen und bin gnadenloser Realist.
Ich könnte jetzt beginnen, wie in leider zu vielen Büchern, zu erzählen, wie ich heiße, wie ich aussehe, wie alt ich bin, aber eigentlich interessiert mich das kein Stück. Ich bin hier nur die Protagonistin, und die kostenlose Psychoanalyse von überkorrekten Literaturkritikern möchte ich mir auch gern sparen. Ich fokussiere mich also weder auf Aussehen, noch auf Vorgeschichte oder zeitlich/logisch/räumliche Zusammenhänge. Alltägliche Dinge lasse ich ebenfalls aus, essen, trinken, laufen. Man nimmt jetzt also einfach an, ich bin so, wie ich existiere. Ich lege hier lediglich einen großen Augenmerk auf Charakterzüge, sowie diese sehr zu erwartenden Wendungen kurz vor Schluss. Oder auch eben nicht.

Widmung

Ich widme dieses Buch allen Menschen, die bereits aufgehört haben zu kämpfen, nicht körperlich, sonder geistig, psychisch. Menschen, denen zu viel zu egal scheint, die den Sinn in allem nicht nur nicht finden, sondern nie gesucht haben. Es soll kein Ratgeber sein, kein Coaching-Buch in dem Autoren mit plagiertem Doktortitel meinen, sie haben die einzig wahre Methode zur Selbstfindung gefunden (wie auch tausende davor), sondern rein in Eigeninterpretation untergehen.
Auch für Menschen, die glauben, vieles, vor allem sich selbst, verloren zu haben. Und nicht genug Kraft finden, sich selbst zu definieren oder mit sich selbst klarzukommen.

Kurz: Ein Buch nur für mich selbst.